Marcs Antwort zu Damiens Vampirfrage blieb ziemlich vage und innerlich zuckte sie resigniert die Schultern. Es würde wohl ein bisschen Zeit brauchen bis Ersterer sich an den Gedanken wieder einen Partner zu haben gewöhnt hatte. Aber sie entschied für sich, dass sie sich da heraus halten würde, für den Augenblick zumindest erst einmal.

Nachdenklich wog sie den Kopf und nickte dann, als Damien meinte, die Köpfe könnten auch zur Abschreckung dienen. Das war sicherlich auch ein Gedanke der nicht von der Hand zu weisen war. Ebenso wie der, dass sich dieses Ding vielleicht auch für andere Kirchen zuständig fühlen könnte. Wobei: “Das wäre dann aber schon eine ziemlich Mamutaufgabe für „Mr.G.“.“ Sie zog beim Sprechen ein wenig die Nase kraus, ein Spitzname für solch ein Monstrum behagte ihr gar nicht, aber das war vermutlich etwas, womit sie bei den beiden Männern auf wenig Verständnis stoßen würde.

“ Kraft braucht es sicher einen Kopf abzureißen, mit bloßen Händen schafft ein Mensch das sicher nicht. Aber es wäre ja immer noch möglich, dass jemand sich da irgendeines Hilfsmittels bedient hat. Denkt mal ans Vierteilen früher. Ist denn der Kopf von Mr. Payne schon auf Spuren untersucht worden?“ Wenn man denn den Gedanken an einen „normalen“ also menschlichen Täter noch nicht ad acta legen wollte, aber dann blieb immer noch die Frage wo die Körper waren und warum die Tatorte beide in solchen Höhen waren und wie der Täter ins Penthouse gekommen war und und und… “Ich mein ja nur. Nur um nicht zu schnell irgendwas außer Acht zu lassen.“

Marc beschloss, dass die für den Augenblick erst mal Schluss machen sollen und mit einem Blick auf ihre Uhr, stellte sie seufzend fest, dass an Schlaf wohl nicht mehr zu denken sein würde, bis ihr hauseigener Wirbelwind putzmunter auf seinem Bett hüpfte.
Da die beiden Männer schon beschlossen hatten, sich morgen um die anderen Kirchen zu kümmern und Paralellen zwischen Architekt und Küster zu erforschen, gab es ja zumindest einen Faden dem sie erst einmal weiter folgen konnten. Und vielleicht wäre es auch wirklich klug die Kirche morgen Nacht unter Beobachtung zu halten. “Ok, dann geht ihr erst mal schlafen. Ich habe heute Vormittag erst mal zwei Patienten und danach könnte ich dann zu Pater Mallory fahren. Ich wollte ihn ohnehin fragen ob es so etwas wie eine Chronik oder andere alte Aufzeichnungen über die Kirche gibt. Vielleicht gibt es ja dort Hinweise auf … dieses Wesen oder ein Motiv.“ So konnte sie vielleicht wenigstens durch Recherche ein wenig weiterhelfen.

Sie bezahlten den Kaffee und verabschiedeten sich.
Marc und Damien um ein bisschen Schlaf nach- oder vorzuholen und sie um ihre kleine Tochter kindergartenklar zu machen und dann in die Praxis zu fahren.

Gegen 11 Uhr verließ sie die Praxis wieder und schrieb Marc eine kurze Nachricht, dass sie jetzt zu Pater Mallory fahren und sich melden würde, wenn sie irgendwas Interessantes heraus fand.

Der Pater war doch recht überrascht, weniger dass sie schon wieder vor seiner Tür stand, als vielmehr über die dringende Warnung nach Einbruch der Dunkelheit das Haus nicht mehr zu verlassen und alle Jalousien geschlossen zu halten. Glücklicherweise war das Pfarrhaus ein altes Gebäude und die Fenster sicher nicht von einer Größe, durch die so ein Gargoyle passen würde und durch Mauern würde das Vieh ja wohl nicht durchbrechen können, hoffte sie.
Allerdings erwähnte sie das dem Pater gegenüber alles nicht sondern erklärte ihm nur, sie würden fürchten, dass der Mörder von Mr. Payne es auf noch mehr Opfer abgesehen haben könnte.
Natürlich berichtete sie auch von dem zweiten Toten, aber mit dem Namen des Architekten konnte der Pater nichts anfangen. Das war also erst einmal eine Sackgasse.
Dafür ließ er sie aber ohne zu viele unangenehme Fragen in die an das Kirchengebäude angeschlossene Bücherrei, als sie ihn darum bat. Als Erklärung gab sie nur an, dass sie vermuteten der Täter könnte vielleicht irgendwas an der Kirche als Motiv betrachten.

So hockte sie also ein wenig später in einem hohen mit alten Schriftstücken und zum Teil sehr wertvoll, auf jeden Fall aber auch recht alt aussehenden Büchern bestücktem Raum, auf einem ziemlich unbequemen Stuhl und entzifferte recht mühsam die altmodische Schrift in den Seiten der Chronik.

Seitenweise Aufzeichnungen über Taufen, Hochzeiten, Todesfälle, über Reparaturen an der Kirche, beauftragte Handwerker, Spendeneinträge, Ausgaben, über Pfarrer, die neu herkamen oder fortgingen und solcherlei mehr, alles feinsäuberlich chronologisch notiert. Nicht gerade eine interessante Lektüre und auch keine sehr ergiebige. Bisher zumindest hatte sie nichts was auch nur entfernt nach Gargoyle klang entdeckt und so langsam war die Gewissheit in ihr gereift, dass sie noch Tage brauchen würde um das alles hier durchzulesen.

Ein leises „Hallo“ riss sie aus ihren unfrohen Gedanken und sie blickte auf. Eine bildhübsche Rothaarige hatte den Raum betreten. “Hallo!““, antwortete sie ebenso leise wie die Andere und musterte diese unauffällig. Gehörte die Frau zu den Angestellten hier? Wenn ja, dann hatte der Pater vergessen sie zu erwähnen.
Da die Frau sich aber nicht um sie zu kümmern schien sondern an den Buchreihen entlang ging, als würde sie etwas suchen, wandte sie sich wieder ihren Einträgen zu, bis sie erneut angesprochen wurde.
Diesmal setzte sie sich aufrechter hin und musterte die andere Frau offen und ein wenig skeptisch, als diese ihre Hilfe anbot: “Verzeihen Sie, aber wer sind sie?“, erkundigte sie sich dann. “Pater Mallory hat nichts davon erwähnt, dass ich hier nicht allein bleiben würde.“
Und natürlich würde sie sich nicht helfen lassen, egal wie die Antwort ausfiel, was sollte sie der Anderen denn schon sagen? Können Sie mir bitte alle Stellen vorlesen, die über lebendig werdende Gargoyles berichten!“ Na, die Reaktion würde sie ja mal gerne sehen. Oder eben lieber doch nicht. Von der Unglaublichkeit einmal abgesehen, ging es ja hier auch immer noch um Ermittlungen in einem Mordfall.
Die allerdings diese Buch wohl auch nicht weiterbringen würde. Die andere Frau weiter forschend anblickend, klappte sie das große Buch in einem Anfall von Frust schwungvoll zu, wohl wissend, dass sie gleich genervt sein würde im Versuch die richtige Seite wieder zu finden.

Irgendwo zwischen den hinteren Seite des alten Buches segelte durch den Schwung des Zuschlagens ein pergamentener Bogen hervor und trudelte wie eine überdimensionale Schneeflocke vor den Füßen der anderen Frau zu Boden.

Sie erfuhr nicht nur den Namen ihres Gegenübers sondern auch, dass diese Privatdetektivin war. Ein Umstand, der ein mittleres Rudel an Fragen nach sich zog. “Teresa Morgan.“, stellte sie sich ebenfalls vor, zog es aber einstweilen vor nicht zu erwähnen, dass sie selbst für die Polizei arbeitete. Hatten nicht Marc und Damien gestern irgendwas von einer Privatdetektivin gesagt, die sich für ihren Fall interessierte? Aber was verschlug die dann in die Bücherei? “Und was interessiert eine Privatdetektivin an einem Raum voller alter, staubiger Bücher?“, wollte sie daher auch, mit durchaus echtem Interesse, wissen.

Die andere Frau reichte ihr das Pergament zurück und erst dann konnte sie erkennen, dass es offenbar ein alter Grundriss der Kirche war. Mit schwarzer Tinte und scheinbar von Hand akribisch aufgezeichnet. Jede Nische, jede Säule, Treppe, Tür, der Altar, sogar eine Seitenansicht des Glockenturmes waren sorgsam darauf festgehalten. Auf der Rückseite war in ähnlich schnörkeliger Schrift wie auf den Buchseiten ein Bibelvers festgehalten.
„Matthäus 16 Vers 18,19
Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeinde, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Und ich will dir des Himmelsreichs Schlüssel geben: alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel los sein.“

Sie drehte das Blatt wieder herum und betrachtete die feinen Linien, während sie gleichzeitig den Kopf schüttelte: “Nein, einen Grundriss habe ich nicht ge…!“ Etwas fing ihre Aufmerksamkeit ein und sie fuhr mit gerunzelter Stirn eine der Linien mit dem Finger nach. “Aber das ist doch die Krypta…“, wunderte sie sich dabei leise.

Ok, also war diese Privatdetektivin wirklich wegen „ihres“ Falles hier. Da stellte sich doch ganz unwillkürlich die Frage, wer sie darauf angesetzt hatte, Privatdetektive hatten doch nun gewöhnlich einen Auftraggeber. “Ist das nicht eher Sache der Polizei?“, versuchte sie daher das Interesse der anderen Frau verstehen.
Und es entging ihr auch keineswegs, dass deren Antwort keine wirkliche Antwort auf ihre Frage gab. “Und sie hoffen den Täter hier zwischen alten Buchseiten zu finden?“ Klang nicht sehr wahrscheinlich für sie, außer man verdächtigte ein mythisches Wesen dessen Existenz man erst mal nachweisen müsste. Aber das würde auf die andere Frau ja wohl kaum auch zutreffen … oder?

Dementsprechend konnte sie bei Jennas Worten ein Auflachen nicht unterdrücken. “Wer hat denn behauptet ich sei normal?“ Eines der nichts sagensten Worte überhaupt wenn man sie fragte.

Sicher eine Krypta gab es überall, das war auch nicht was ihr aufgefallen war. Aber Jennas Frage nach ihrem Beruf, gewährte ihr einen Moment Zeit darüber nachzudenken ob sie wirklich berichten wollte, was ihr aufgefallen war. So aber wog sie den Kopf hin und her und nickte dann: “Sowas in der Art!“ Auch wenn sie sich in ihrem Job mehr mit der Historie einzelner Menschen auseinander setzen musste, als mit der Art die man in Büchern fand.
Einen Moment lang blickte sie die andere Frau überlegend an, dann winkte sie Jenna näher. “Es geht nicht um die Krypta selbst sondern um das hier.“ Sie deutete auf ein kleines Dreieck an der Wand der Krypta. “Das ist eine Tür. Aber ich war schon in der Krypta und da war keine Tür zu sehen! Und darum … “ Sie kramte ihr Handy aus ihrer Handtasche, nur für den Fall das sie Licht brauchen würde. “… sehe ich mir das jetzt mal näher an!“ Auffordernd blickte sie die andere Frau an, aus gutem Grund hoffte sie die Andere würde sie begleiten.

Sie hatte aus sehr persönlichen Gründen ein überhaupt nicht gutes Verhältnis zu Kellern, selbst ihren eigenen zu hause konnte sie nur ohne Beklemmung allein betreten, weil sie die Wände himmelblau mit weißen Schäfchenwolken gestrichen und ihn hell beleuchtet hatten. Es hatte schon so seine Vorteile wenn man als Psychologe wusste, wie man die menschliche Psyche austricksen konnte. Aber wie dem auch sei, das war sicher weit von dem entfernt wie ein Keller unter einem so alten Gemäuer aussehen würde.
Aber „Verstärkung“ wollte sie nun deswegen auch nicht gleich rufen, immerhin konnte es genauso gut sein, dass sie nur einen Abstellraum fanden.
Tasche und Mantel ließ sie einfach hier, ungefragt herein kam hier ja wohl niemand. “Was ist kommen Sie mit?“

Sie konnte ein kleines Stirnrunzeln nicht verhindern, als die Andere meinte, die Polizei würde nur das wer interessieren. “Ich hätte gedacht das „was und warum“ ist das was man gewöhnlich Motiv nennt!“ Zumindest die Cops, die sie kannte – und das waren schon ein paar – denen wäre beides sicher nicht egal.

“Der Gärtner?“ Sie lachte auf. “Mr Thompson? Ich glaube nicht das der fähig wäre mehr als eine Blüte zu meucheln!“ Allein schon von der Kraft her, war die Vorstellung lächerlich. Wobei, für wie lächerlich würde es ihr Gegenüber wohl befinden wenn sie von einem Gargoyle spräche.
Der aber war ein Grund, warum sie auf lange Sicht keine Privatermittler in diesem Fall brauchen konnten. Aber darum musste sich Marc kümmern oder vielleicht sogar der Chief. Aber das sollte für den Augenblick nicht ihre Sorge sein.

Über das Scherzen wegen des „Normal seins“ vergaß Jenna scheinbar die Frage nach ihrem genauen Beruf wieder und das sollte ihr doch eigentlich nur recht sein.

Natürlich war es eine Möglichkeit, dass es diese ominöse Tür einfach gar nicht mehr gab, aber nachsehen konnte ja nun nicht schaden. Und sie hatte einfach gelernt auf Kleinigkeiten zu achten.
Aber trotz ihres skeptischen Einwurfs wollte die andere Frau mitkommen, was ihr sehr willkommen war.
Lachend schlüpfte sie in ihren Mantel. “Ohne den würde ich hier zu der Jahreszeit ohnehin keinen Fuß vor irgendeine Tür setzen!“ Auch nicht für das kleine Stück bis zur Kirche hinüber.

Da es mitten am Tag war stand die Kirche Besuchern auf und auch die Tür zur Krypta hinunter war nicht verschlossen, so dass sie bald darauf in dem von Kerzen erleuchteten Raum standen.
Die Flammen zuckten leicht und dabei fiel ihr ein, dass sie schon gestern - als sie mit Marc hier unten war - den Eindruck gehabt hatte, es gäbe irgendeinen Luftzug.
Jenna wollte den Plan haben, aber sie schüttelte – sich innerlich vor denselbigen schlagend - den Kopf. “Den habe ich in der Bibliothek vergessen. Aber das macht nichts!“ Sich orientierend drehte sie sich einmal um die eigene Achse und deutete dann auf einen großen, augenscheinlich sehr alten Wandteppich zu ihrer Rechten.
Wenn es diese Tür noch gab, dann müsste sie an dieser Wand sein.
Neugierig zerrte sie den Teppich ein wenig von der Wand weg und linste dahinter.
“Ha!“ Sie winkte Jenna näher zu kommen und deutete auf eine kleine Tür aus massivem Holz. Sie maß die Größe der Tür mit einiger Beruhigung. Also für einen Gargoyle erschien sie ihr entschieden zu klein. Vielleicht ja doch nur ein Abstellraum?
Eine Klinke gab es nicht, nur einen ebenso massiv wirkenden Metallring. Als sie diesen drehte schwang die Tür erstaunlich lautlos nach hinten auf.
Sie wühlte ihr Handy aus der Manteltasche und startete die Taschenlampe.
In dem kleinen Lichtkegel sah man Stufen in die Tiefe führen. Äußerlich nicht sichtbar mit ihrem Unbehagen kämpfend blickte sie in das Dunkel.

Damien

Auch der Pater nannte seinen Namen und Damien war doch ein bißchen erstaunt, daß selbst der Father den Marmorprunk als zu viel empfand. Er hatte eher das Gefühl, daß es den Katholiken gar nicht genug Prunk sein konnte. Evangelische Kirchen war da etwas sparsamer ‚eingerichtet‘.
Ein kleiner Seitenblick zeigte Scott, daß Marc etwas von seinem Handy abgelenkt wurde und das Gespräch offenbar ihm überließ. Wenn’s nur ein Klingelbeutel wäre … Daß der Pater aber noch nichts von dem Mord in der Nachbargemeinde gehört hatte, war verwunderlich. Er hatte angenommen, daß so etwas unter den Dienern der Kirche gleich die Runde gemacht hatte.
„Sie haben noch nichts von dem … Vorfall in Ihrer Nachbargemeinde gehört?“ forschte Damien vorsichtig nach. „Dort wurde … der Küster tot aufgefunden und wir wollten nachfragen, ob Ihnen in Ihrer Kirche oder drum herum etwas Ungewöhnliches aufgefallen ist.“ Das war für die schonendste Methode, dem Father beizubringen, was passiert war, sollte dieser tatsächlich noch nichts gehört haben.




Sie war ganz froh, dass die andere Frau sich für ein paar Augenblick ausschließlich auf den Grundriss konzentriert war, denn dass was die gerade über Cops vom Stapel ließ, sorgte bei ihr doch für mehr als nur ein bisschen Stirnrunzeln. “Was man die Cops GLAUBEN lässt?“, echote sie daher einigermaßen ungläubig. Sie war sich sehr sicher, dass das auf keinen Cop zutraf den sie kannte.

Aber jetzt war erst mal diese Tür in der Krypta interessant. Die zu finden war nicht so schwierig gewesen, auch wenn die hellen Ränder die der Teppich auf der Wand hinterlassen hatte sehr deutlich machten, dass dieser schon sehr lange hier hing. Umso erstaunlicher eigentlich wie geräuschlos sich die Tür öffnete.
Doch darüber konnte sie sich gerade keine Gedanken machen. Alles was sie zu beherrschen schien, war das dunkle Loch in das sie starrte.
Wie war sie gleich wieder auf die saudumme Idee verfallen, sich das hier näher ansehen zu wollen?
Während sie so mit sich haderte, war die andere Frau schon an ihr vorbei geschlüpft und stieg die Treppe hinab.
Tief durchatmen Tessa! Es ist nur eine Treppe! Ja, eine in schwarze Tiefe.
Sie atmete durch und riss sich energisch zusammen, in dem sie sich immer wieder vor Augen führte wo sie war.
Dann folgte sie der anderen Frau in die Tiefe.
Ein Gang schloss sich hier an. An den Seiten stand einiges Gerümpel, was wohl in der Kirche nicht mehr gebraucht wurde. Alte Kerzenständer, kaputte Stühle und große Vasen mit Sprüngen konnte sie im schwachen Licht ihrer kleinen Lampe erkennen. “Doch so eine Art Abstellraum.“, stellte sie fest und nickte gleichzeitig. Jenna hatte recht. Es war kalt hier.
“He warte mal!“ Sie leuchtete wieder zurück zu dem Fleck Wand an dem ihr Licht gerade vorbei gehuscht war. “Da ist noch eine Tür!“ Aufs Geradewohl probierte sie auch diese Tür aus und fast ein bisschen zu ihrer Überraschung schwang die ebenso geräuschlos auf wie ihr Vorgänger.
Zögernd trat sie hindurch. Die Luft war anders hier, älter und es wirkte feuchter und die Wände auf die ihr Licht fiel waren nicht mehr glatter Beton sondern rauer behauener Stein, der Gang beschrieb einen Rechtsknick und führte dann einige Schritte weiter bevor er sich gabelte. Ratlos leuchtete sie in beide Richtungen.

01:30 p.m.

Aufteilen?! Mit mehr als nur einem mulmigen Gefühl im Bauch folgte sie der Aufforderung der anderen Frau und folgte dem Gang linkerhand. Augenblicklich wurde ihr noch mulmiger als hier unten ohnehin schon, aber sie bemühte sich ruhig weiter zu atmen. Weit kam sie aber ohnehin nicht bis der Gang sich erneut gabelte.
Aufteilen! “Völlig bescheuerte Idee!“, murmelte sie vor sich hin und machte stehenden Fußes wieder kehrt, um die andere Frau wieder einzuholen. “Jenna! Bleib stehen! Warte!“, rief sie halblaut und hielt erst an als sie diese wieder eingeholt hatte. Auch die hatte auf ihrer Gangseite eine neue Gabelung erreicht.
“Der Gang teilt sich dahinten auch. Das ist kein Rundgang!“ Und deswegen war es auch keine gute Idee sich zu trennen. “Warte!“ Sie kramte in ihrer Manteltasche und hielt triumphierend einen Wachsmalstift in die Luft! “Dreijährige Tochter!“, fügte sie erklärend hinzu.
“Wir sollten markieren wo wir langgehen. Für den Rückweg! Nur falls es sich noch öfter gabelt!“ Sie jedenfalls würde da sehr rasch die Orientierung verlieren, da hier in erster Linie alles nur schwarz war.

01:45 p.m.



Glücklicherweise trug das Gewölbe ihr leises Rufen weiter und Jenna hörte sie und ließ sie wirklich aufholen. Diese Seite des Ganges sah fast genau so aus, wie die aus der sie eben gekommen war. “Dahinten ist es das gleiche!“, stellte sie leise fest als die andere Frau meinte es sähe überall gleich aus.

Kleine Racker klang ja nun für sie mehr nach Welpenschule, als nach Kindern, aber nun gut. Zu den Vorteilen verzog sie dann aber eher das Gesicht, auch wenn es bei dem spärlichen Licht kaum zu erkennen war. “Das denkst du sicher nicht mehr wenn das erste Mal ein halbgelutschter Lolly auf wundersame Weise den Weg in deine Jackentasche findet!“ Das hörbare Lachen, was ihre Worte begleitete machte sehr deutlich, dass sie das weniger furchtbar fand als sie grad behauptete, zumindest solange sie nicht akut in besagten Lolly fasste.

Nach einem letzten Leuchten in beide Gangrichtungen, entschieden sie sich dem Gang linker Hand zu folgen. Die Dunkelheit schien beinahe mit jedem Schritt noch dichter zu werden, das gaukelte ihr Geist ihr wenigstens vor. Da half es auch nicht so richtig weiter hier nicht allein herum zu tapsen.

“Debbie. Debora…“, beantwortete sie die Frage nach dem Namen ihrer Tochter nach kurzem Zögern. Sie war – mit gutem Grund – sehr vorsichtig, was jede Information zu ihrem Kind anging, hatte aber nach kurzer Betrachtung doch entschieden, die Andere für „unbedenklich“ zu halten.

Jenna stolperte und sie bliebt sofort stehen und leuchtete auf den Boden, aber es war nur eine Unebenheit im Gangboden. “Bin ich! Aber mit deinen Schuhen ist das glaube ich noch etwas schwieriger!“ Ihre eigenen Absätze waren da um einiges flacher, Chicago im November war potentiell eine Glaseisfalle.
Noch vorsichtiger als bisher gingen sie weiter.
“Kommt mir das nur so vor oder gehen wir immer abwärts?“ Irgendwie schien es ihr als hätte der Gang eine leichte Neigung.

Noch ein bisschen weiter standen sie erneut an einer Gabelung. Gleich 3 Wege gingen von hier ab. Sie leuchtete in alle hinein und auch auf den Boden und an die Decke, doch wirkliche Unterschiede ließen sich nicht ausmachen. Der rechte Gang schien etwas schmaler zu sein und der mittlere etwas niedriger, aber das war es dann auch schon. Ansonsten der gleich aus rauem Fels geschlagene Boden wie auch bisher und dieselbe gewölbten Decken.“Und welcher darf es sein? Du hast die freie Auswahl!“

02:15 p.m.



Schlimmeres als unverhofft alte Lollys in den Taschen zu finden? Hm … “Kaugummis?“, schlug sie lachend vor. Ein ziemlich abrupt wieder endendes Lachen, weil der Hall des Gewölbes um sie herum, es sehr schaurig klingen ließ.

Zu den Schuhen der Anderen hatte sie nichts weiter gesagt, sie kreuzte nur innerlich die Finger, dass die sich hier nicht ein Bein brach.
Eine Weile liefen sie schweigend weiter, waren inzwischen ein paar Mal abgebogen, nicht ohne jedes Mal den Weg zu markieren. Dafür aber ohne etwas Interessantes oder etwas was auch nur vage mit ihrem Fall zu tun haben könnte, zu entdecken.

Als Jenna vermutlich mehr zu sich selbst wissen wollte wohin der Gang führte, konnte sie so auch nur mit den Schultern zucken. “Keine Ahnung. Vielleicht führt er auch nirgends hin!“ Denn auch wenn sie versucht hatten einer Richtung zu folgen, konnte sie sich des Eindrucks nicht erwehren, als würden sie im Kreis laufen.
Sie warf einen Blick Richtung Decke. “Schon möglich! Aber wenn dann schon eine ganze Weile!“
Der Gedanke unter dem Friedhof zu sein, schien Jenna merkliches Unbehagen zu bereiten, so dass diese sich für den linken Gang entschied, um möglicherweise aus dem Bereich des Friedhofs wegzukommen.
Sie zögerte ein wenig, dieser Gang gefiel ihr nicht, aber nun ja, eigentlich gefiel es ihr hier unten generell nicht, daher folgte sie der anderen Frau ohne Einwände zu erheben.
“Mach dir darum mal keine Gedanken. Wir sind auf jeden Fall tiefer als Gräber. Auf deren Höhe waren wir als wir in der Krypta waren und wir sind mindestens noch die Treppe am Anfang tiefer! Und ich gehe mal davon aus, dass die Leute die diese Gänge angelegt haben, keine Lust gehabt haben dürften hier ständig die Decke zu reparieren!

Mal abgesehen davon: Es sind doch nur ein paar Knochen!“ Die machten ihr nun sicher keine Angst. Da gab es ganz andere Dinge.

Trotzdem fragte sie sich zunehmend wozu eigentlich jemand das alles hier angelegt hatte. Das war ein verdammtes Labyrinth hier. Ohne die Markierungen würden sie den Weg zurück ganz sicher nicht mehr finden.
Aber ob und wenn ja was das alles mit ihrem Fall zu tun hatte.
“Aber vielleicht wurden diese Gänge auch selbst als Begräbnisstätten genutzt, bevor es den Friedhof gab.“, murmelte sie mehr als Zusammenfassung ihrer Überlegungen, denn zu Jenna. Dann allerdings würden sie hier auch nichts finden. Wenn es wirklich um einen Gargoyle ging, wie sollte dann auch so ein großes Vieh hier herein passen. So geräumig waren diese Gänge nun nicht.

Dem entsprechend sah sie auch nicht viel Sinn darin hier noch weiter durch die Dunkelheit zu irren.“Von mir aus können wir zurück gehen!“ Selbst wenn es hier unten vielleicht irgendwo was gab, daran könnten sie nun auch genauso gut schon vor 5 Gängen vorbei gelaufen sein. Diesen ganzen Komplex zu durchsuchen würde vermutlich Tage dauern.
“Ich denke nicht das wir hier noch…“

Der Rest des Satzes blieb ihr buchstäblich im Halse stecken, weil Jenna plötzlich statt einem guten Kopf größer als sie ein ganzes Stück kleiner war. Gleichzeitig erfüllte ein ungutes Rauschen und Rumpeln und in den zwei Sekunden, die es brauchte zu begreifen, dass der Boden unter ihnen plötzlich ins Rutschen geraten war und schräg zur Wand hin zu verschwinden schien, fiel sie schon selbst. Steine und Erdklumpen trafen sie unsanft während sie wie um sich selbst kugelte. Instinktiv versuchte sie den Kopf einzuziehen und so gut es ging zu schützen. Aber auch das konnte nicht verhindern, dass die endgültige Landung ziemlich unsanft ausfiel.
Hustend und keuchend lag sie irgendwann still im Dunkeln. Ihr Handy hatte sie irgendwann im Fallen verloren.
“Jenna? JENNA?“ Beinahe sofort wollte Panik sie anspringen. “Ganz ruhig Tess! Schön durchatmen!“ Leider führte das nur zu noch mehr Husten, da die Luft noch von Staub erfüllt war. “ Bist du ok?“, unternahm sie einen neuen Versuch nachdem Husten und Panik für den Moment mehr oder minder erfolgreich besiegt waren. Stöhnend setzte sie sich auf.
“Ich hab mein Handy verloren! Hast du noch Licht?“