Marc runzelte die Stirn. Er würde sich auch nicht als Freak bezeichnen. Allerdings war er auch inmitten des Geschehens gewesen und so fiel es ihm leichter, zu glauben, was er mit eigenen Augen gesehen hatte. Damien grummelte nur noch leise und sagte dann nichts mehr, was auch gut für ihn war.

Tess bestätigte, dass sie die Rolle des Freaks übernahm und das mit einem solch fröhlichen Lächeln, dass er nur die Augenbrauen runzelte und dazu schwieg. Er erwiderte ihren kurzen Blick und bedauerte, nicht noch ein wenig mehr Zeit dafür zu haben, den Blick auf ihren schönen, grünen Augen heften zu können.

Auf Franks Frage gab Damien dann an, ins Team einzusteigen. Aleksey tat es ihm gleich.
Marc nickte. Sie brauchten die beiden, auch wenn er befürchtete, dass es alles andere als einfach werden würde.

Patrick verabschiedete sich genauso wie Frank und sehr zu seinem Bedauern erhob sich auch Tess. Allerdings hatte sie ja die Mission Kinder-Halloween. Dafür musste er sich jetzt rasch ins Bett begeben und schlafen, schließlich musste er heute Abend wieder fit für die Nachtbereitschaft sein. Die Müdigkeit überfiel ihn mit einem Mal sogar ziemlich heftig, so dass er sich ein Gähnen stark verkneifen musste. Dabei hatte er doch später noch etwas vor ...

“Ich habe eure Handy-Nummern, falls noch etwas sein sollte, werde ich mich melden. Meine gebe ich euch.“ Er zog aus seiner Hemdtasche zwei Visitenkarten und reichte sie den beiden. “Ich hatte Nachtschicht und lege mich jetzt hin, wenn es nicht wirklich wichtig ist, lasst mich bitte schlafen.“

Er trank den letzten Schluck seines mittlerweile kalten Kaffees aus, verzog das Gesicht und stellte den Becher ab. “Bis Montag dann... schönes Wochenende.“ verabschiedete er sich mit einem Lächeln und einem Nicken und verließ den Raum.

Samstag, 1. November 2014, 6.15 a.m.

Seine Nacht war alles andere, als ruhig gewesen. Es hatte eine Schießerei an einer Tankstelle gegeben und auch wenn es ihnen gelungen war, nach einer rasanten Verfolgungsjagd den noch minderjährigen Räuber zu fassen, hatte der Bursche es doch mit seinem Leben bezahlt. Zwei Cops wurden angeschossen und ins Krankenhaus gebracht. Ob sie durchkommen würden, stand noch nicht fest.

Vor einer Stunde war Marc mit den anderen zurück ins Revier gefahren. Eigentlich wollte er den Bericht gleich schreiben, aber er starrte müde und erschöpft auf seinen Block und den zwei Sätzen, die er in der letzten halben Stunde auf das karierte Papier geschrieben hatte. Selbst zwei Becher starker Kaffee konnten ihn nicht so weit aufrütteln, dass er sich fähiger fühlte.

Also hatte er beschlossen, Feierabend zu machen. Nach ein paar Stunden Schlaf sah die Welt zwar nicht besser aus, aber er würde sie besser erkennen können.

Die nasskalte Morgenluft schlug ihm unsanft ins Gesicht, als der die Tür des Polizeireviers hinter sich schloss. Ein paar Mal atmete er tief durch und schlenderte dann zu seinem Auto. Der Anblick seinesleuchtend gelben 78er Camaro liess seine Miene ein klein wenig aufhellen. Mit einem Seufzen liess er sich auf den Fahrersitz fallen, startete den Motor, der ihm wie eine ganze Katzenfamilie entgegenschnurrte und fuhr dann los. Er wollte nach Hause, beschloss aber, vorher noch einen Abstecher ganz woanders zu machen.

Die "Old Saint Timothy Church" war ihm für den heutigen Morgen ein guter Anlaufpunkt. Dorthin lenkte er seinen Wagen. Seine Eltern hatten dort bereits geheiratet, ebenso wie seine zwei Brüder und seine Schwester. Genau wie sie plante auch er, hier zu heiraten.

Er kannte Reverend Phelps schon von klein auf. Zwar glaubte er nicht, dass der alte Herr jetzt schon in der Kirche war, aber das brauchte er auch nicht. Er brauchte die Ruhe der Kirche und das Bedürfnis, auch ohne erklärende Worte seine innere Ruhe wiederzufinden.

Er parkte seinen Wagen ein paar Meter von der Kirche entfernt, um noch ein paar Schritte zu Fuß gehen zu können. Die Kirchentür war immer offen, um den Menschen den Zutritt zu ihrem Zufluchtsort nicht zu verwehren. Wie schon seit 30 Jahren knarrte die schwere Tür, als er sie öffnete und fiel hinter ihm mit einem satten Rumms auch wieder ins Schloss. Marc suchte sich einen Platz auf einer der Bänke und blieb eine ganze Weile in sich gekehrt sitzen.

Als er sich schließlich wieder erhob, fühlte er sich besser. Er verließ die Kirche durch die Hintertür. Hier befand sich der kleine Friedhof , der zu dem imposanten Gebäude gehörte. Vor drei Jahren musste er hier seine damalige Freundin beerdigen und hin und wieder kam er hierher, um ihr ein paar Minuten zu gedenken. So tat er es auch heute Morgen.

Über Nacht war Schnee gefallen, alles schien mit einer Puderzuckerschicht überzogen zu sein und so waren seine Fußspuren die ersten, die man in der dünnen Schneeschicht erkennen konnte.
Am Grab blieb er stehen und ging einen Moment in sich. Dann wandte er sich ab und wollte den Friedhof wieder verlassen.

Ein paar Meter vor dem kleinen, schmiedeeisernen Tor blieb er wie angewurzelt stehen. Sein Blick fiel auf den Zaun, der von mannshohen Zaunpfählen unterteilt war. Auf einer dieser Spitzen steckte ein Kopf. Marcs Blick ging auf den Boden. Im blütenweißen Schnee hoben sich ein paar Blutstropfen deutlich ab.
Er kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. “Halloween.“ rief er sich ins Gedächtnis. “Nur ein Scherz.“
Ziemlich makaber, aber nunja. Trotzdem ging er vorsichtig näher heran und öffnete das Tor, um auf die andere Seite des Zauns zu kommen. Hier konnte er das Antlitz des Kopfes sehen und erstarrte.
“Oh nein...“ Das Gesicht kannte er und es war kein makabrer Halloween-Scherz. Es war der Kopf des Küsters, der ihn mit schreckgeweiteten toten Augen anstarrte.

Marc drehte sich zur Seite, um den Toten nicht länger ansehen zu müssen. Einen Körper sah er nicht. Auch keine Blutstropfen, die irgendwo hinführten, wo vielleicht der Rest der Leiche lag.
Er zog das Handy aus der Tasche, informierte Frank, der die Spurensicherung auf den Weg schickte. Dann sah er auf die Uhr. Tess würde schon wach sein, also rief er sie an und informierte sie ebenfalls über seinen Fund. Jemand, der Leichen den Kopf abhackte, war definitiv krank im Kopf und da brauchten sie die Unterstützung einer fähigen Psychologin.

Sie sah ja seine Nummer und so meldete er sich nur mit einem “Hey, ich bin's. Es gibt eine kopflose Leiche an der Timothy Church. Oder anders gesagt, ich hab den Kopf gefunden. Die SpuSi ist schon unterwegs. Ich seh nur keinen Körper. Wir werden deine Unterstützung brauchen.“ Er seufzte. Sein Bett würde er die nächsten Stunden wohl doch nicht sehen.
“Ich warte hier, wir sehen uns gleich.“ murmelte er, ein Gähnen unterdrückend. “Ich sag den anderen Bescheid.“ Dann beendete er das Gespräch mit ein paar weiteren, netten Worten.
Schließlich wählte er auch die Nummern seiner beiden neuen Kollegen. Es war sieben Uhr früh, es tat ihm leid, sie aus den Federn reißen zu müssen, aber Job war nunmal Job. Der Wortlaut war bei beiden etwa gleich: “Hey, Marc hier ... tut mir leid euch das wohlverdiente Wochenende zu versauen, aber wir haben eine Leiche, bzw. nur den Kopf. Ich warte auf die Spurensicherung und auf euch.“ Er gab ihnen die Adresse der Kirche durch und lehnte sich dann abwartend gegen den Zaun.

Weil er davon ausging, dass Frank vor lauter Stress vergass, den Gerichtsmediziner anzurufen, tat er auch das gleich noch.

“Cato? Marc hier. Tut mir leid, wenn ich Sie so früh aus den Federn schmeißen muss, aber wir brauchen Sie hier am Tatort. Können Sie anhand des abgetrennten Kopfes mehr über die Todesursache sagen?“

G.F. "Cato" Tyrell

Er hätte sich niemals das Telefon am Bett anschaffen sollen. Er drehte sich zur Seite,

Doch die Arbeit verlangte es, jemand in seiner Position musste immer erreichbar sein. Wenn er als junger Mediziner gewusst hätte, was dieses Dasein mit sich bringt, vielleicht hätte er sich mit der Privatpraxis noch einmal überlegt. Sein Onkel hatte ihm angeboten, seine Praxis zu übernehmen, doch er war ein rastloser Mensch. Immer auf Achse, immer unterwegs, keine Distanz zu groß, keine Reise zu teuer, kein Geheimnis in dieser weiten und tiefgründigen Welt durfte unerforscht bleiben. Seine Fotoalben waren voll mit Zeugnissen eines neuen Marco Polo.

Es klingelte erneut. Er kannte dieses Klingeln. Die Arbeit. Er brummte, dann nahm er ab. Die Stimme kannte er nur zu gut. Er hörte zu, legte auf, drehte sich noch einmal um. Seine Frau war nicht da, sie besuchte ihre Eltern in Indiana. Er murrte noch einmal, um sich dann aus dem Bett zu quälen. Sein Blick fiel auf das Buch auf seinem Nachttisch.

Mit lauten Quietschen kam der Wagen der Spurensicherung bei der Old Saint Timothy Church an. Wer auch immer Frank, dem Fahrer, den Führerschein gegeben hatte gehörte wegen Gefährdung der nationalen Sicherheit ins Gefängnis. Doch er war schnell und dank dem Blaulicht konnte er sich austoben. Vielleicht hätte er doch besser Nascarfahrer werden sollen anstatt ein Fahrzeug des Staates Illinois mit hochempfindlichen Equipment und zu Tode geängstigten Insassen zu fahren.

Angekommen stieg er vorsichtig aus dem Wagen, atmete die frische Luft ein, sein "Werkzeugkoffer" in der Hand. Gemächlich ging er los, die Toten kannten keine Eile. Ihre Zeit auf dieser hektischen Welt war vorbei. Von einer näheren Distanz konnte er Marc und ein neues Gesicht erkennen.

"„ As his stunned gaze wandered down her wounded body,
blood dripping
he felt her heart; beating
one time
two times
in her eyes only was death, no life; slower
one time
two times
dropped his sword, dropped his mask; slower
one time
two times
his hand on her face; slower
one time
two times
as grim reaper reaches his hand; slower
one time
two times
a single tear from his face; slower
one time
two times
one last word from his lips; slowly
her body turning into dust
her heart
no more times”" Seine tönende Stimme war über die kurze Distanz nicht zu überhören.
„ Wunderschön, ist es nicht?“ Er lächelte.
„ Master Eyvon, wahrlich ein Meister seines Faches. Er bringt das Herz eines jeden seiner Leser in den Einklang dieser zwei in einem Rhythmus lebenden Menschen. Und grausam ist er doch, dass er diese zwei füreinander bestimmten so voneinander scheiden lässt.“ Ein Seufzen hallte über das Feld. Eine große, breite Gestalt erschien, ein brauner, schlichter Anzug ohne Krawatte, ein penibel sauberes Hemd über dem bereits weihnachtsmannartig gewölbten Bauch. So schob sich die Gestalt von George Frederick Tyrell, den man auch nach dem antiken Schriftsteller und Redner „Cato“ über den Friedhof. Ein breites Lächeln zeichnete sich unter seiner Brille aus den Achtzigern, die zu „Catos“ Erstaunen wieder modern geworden war, ab, leicht bräunliche Zähne und ein helles Schimmern eines Goldzahnes hinderten ihn nicht die Gruppe mit seinen fröhlichen Augen zu erfassen.
„ Alle Dichtkunst beiseite, für mich als einen hehren Anhänger der Lehren des Hippokrates war wesentlich auffälliger, dass Master Eyvon, wissentlich oder unwissentlich, den Doppelschlag des Herzens beschrieben hat, interessant, wenn nicht allzu bemerkenswert.“ Er lachte kurz.
„ Dass ich jedoch eines Tages in die… ungewöhnliche Lage kommen sollte, tatsächlich einmal zuzusehen, wie ein Mensch wirklich zu Staub zerfällt; nun, das hätte ich mir wahrscheinlich niemals träumen lassen.“ Er sah zu Marc.
" Und nun ein geköpfter Mensch." Er verstummte kurz.
„ Vergeben sie mir, ich neige gelegentlich zu dramatischen Auftritten.“ Er trat vor, sein Blick fiel auf Aleksey.
„ Ich glaube wir wurden uns noch nicht vorgestellt: George Frederick Tyrell, Rechtsmediziner der Chicagoer Polizei und seit einiger Zeit nun auch der C.O.P.S. Nennen Sie mich George. Oder wie andere gerne auch Cato.“ Er lächelte den jungen Mann an. Dann fiel sein Blick auf den Kopf des Toten. Er zog eine Braue nach oben, dann kniete er sich etwas mühevoll nach unten.
" Wenn man bedenkt, dass gestern Halloween war; überall Skelette und Zombies die die Straßen säumen."



Damien

Nachdem er das Revier verlassen hatte, war Damien mit seinem Jeep auf Stadterkundung gegangen, dann abends etwas essen und in seinem Hotelzimmer hatte er schon mal die Zeitung nach Wohnungsanzeigen durchforstet. Er würde den Chief wohl mal anhauen, ob das Department die Hotelkosten übernehmen würde, bis er eine Wohnung gefunden hatte …
Auf einen Schlummertrunk später in einer Kneipe hatte Scott vor dem Wochenende natürlich nicht verzichtet und er hatte auch wieder nette Gesellschaft, die ihn sogar mit nach Hause genommen hatte. Sie war nicht schlecht gewesen, aber nichts gegen die Wildkatze von der vorigen Nacht.
Noch in der Nacht schlug er in seinem Hotelzimmer auf und wurde dann unsanft, viel zu früh für seinen Geschmack, von seinem Handy aus dem Schlaf gerissen.
Die Nummer kam Damien nur vage bekannt vor und nach einem brummligen “Jaaaaaaa …“, hörte er Lawrence‘ Stimme am anderen Ende. Na toll! Jetzt schon eine Leiche bzw. ein Kopf einer Leiche!
Scott drückte das Gespräch weg, kratze sich ausgiebig den Bauch und etwas tiefer, dann rappelte er sich auf und ging ins Bad. Duschen und Zähneputzen war schnell und effektiv, wie er das bei der Army gelernt hatte, erledigt. Er schnallte sich das Schulterhalfter mit seiner Waffe um, dazu kam noch ein kleines Knöchelhalfter und sein Army-Messer, seine Polizei-Marke, die immer noch die aus Detroit war, kam an den Gürtel neben die Messerscheide.
Mit seinem roten Wrangler parkte Scott an der Kirche, die er schon am Vortag im Vorbeifahren gesehen hatte. Vor der Kirche war niemand zu sehen, also wandte Damien sich ohne große Hektik, während er sich eine Zigarette anzündete, der Rückseite der Kirche zu; Lawrence hatte nicht gesagt, daß er den Kopf IN der Kirche gefunden hätte. Sein Gefühl war wohl richtig, denn hinter der Kirche war ein kleiner Friedhof auf dem er Lawrence und Milchbubi sah. Bei ihnen war ein älterer Afro-Amerikaner, der gerade vor dem Zaun in die Knien ging; auf dem Zaun steckte etwas. Zweifellos der Kopf, den Lawrence gefunden hatte.
Noch einmal zog er an der Kippe, stieß den Rauch aus der Nase und warf den Rest der Zigarette in den neu in der Nacht gefallenen Schnee. Gleich darauf war er bei der kleinen Gruppe angekommen.
“Morgen …“, grüßte Scott und nickte Lawrence und Milchbubi zu. “Nette Dekoration …“ grummelte er und beugte gleich sich neben dem Mann, der wohl der Pathologe war, zu dem männlichen Kopf hin, der einen entsetzten Ausdruck hatte. Er studierte auch den Boden.
“Hmmmmm … Der Mann wurde nicht hier umgebracht … viel zu wenig Blut“, konstatierte er und nahm den Hals in Augenschein. “Ausgefranst!“ Scott richtete sich auf. “Das stammt von keinem Messer, der Kopf wurde also nicht abgeschnitten. Sieht eher aus, als wäre er abgerissen worden.“ Davon hatte er in Afghanistan genug gesehen.
Damien sah zu Lawrence hin. “Kennst Du den Mann, Kumpel? Und habt ihr schon den unteren Teil gefunden?“ Schon vermißte er eine Zigarette und holte stattdessen ein Päckchen Kaugummis aus der Jackentasche, von dem er auch den anderen anbot. “Gibt’s irgendwelche Fußspuren?“

Marc hielt immer mal wieder Ausschau nach den anderen, nur um nicht den toten Schädel ansehen zu müssen. Bald war die erste Verstärkung da und der Tatort wurde mit gelbem Flatterband abgesperrt.
Die Männer in den weißen Anzügen waren auch bald da und nach ein paar gewechselten Worten sah er, wie Aleksey den Fußweg entlanggeeilt kam. Marc stieg über das Flatterband und ging ihm ein paar Schritte entgegen, um zu verhindern, dass andere Officer ihn nicht durchließen, weil sie ihn nicht kannten.

“Guten Morgen.“ erwiderte Marc schlicht und betrachtete den jungen Mann, als dieser den abgetrennten Schädel entdeckte. Wortlos schüttelte er den Kopf, als Aleksey sich jetzt verbesserte und dem Morgen sein "gut" absprach.
“Ist das deine erste Leiche?“ erkundigte er sich behutsam und nickte dann auf seine Frage. “Ja, das war der Küster. Ich kannte ihn schon seit Jahren persönlich.“ Ob die Officer schon etwas gefunden hatten? Marc drehte sich zum Friedhof um, wo überall ein paar weißbekleidete Männer vorsichtig durch die Reihen der Grabsteine gingen.
“Bisher hat noch keiner etwas gesagt, sie werden nichts gefunden haben.“ mutmaßte er. Anderenfalls hätte einer von ihnen schon durch Rufen auf sich aufmerksam gemacht.

Ein Reifenquietschen vor dem Tor des Friedhofes lenkte seine Aufmerksamkeit unweigerlich auf das neu angekommene Fahrzeug.
“Das ist Mr. Tyrell, unser Gerichtsmediziner.“ stellte er Aleksey den älteren Herrn vor, der gemächlich auf sie zuschlenderte. Dieser sang und Marc ging davon aus, dass es einfach seine Art war, so mit dem Tod umzugehen. Wo andere Cops ihre schwarzen Witze rissen, sang er eben.
Marc nickte zu seiner Frage. “Sehr schön.“ stimmte er zu. Sich als Gerichtsmediziner zu wundern, dass er einmal einen Toten zu Gesicht bekäme, war schon irgendwie schräg. Trotzdem war die Gesellschaft des Mannes auch angenehm und hatte etwas beruhigendes.
“Nun, die Kirche hat da wohl das authentischste Dekoteil der ganzen Stadt.“ Auch er kam gelegentlich nicht um schwarzen Humor herum.
“Was meinen Sie, Doc, ist man schnell tot, wenn einem der Schädel abgetrennt wird?“ erkundigte er sich. Er kannte den alten Küster, der Mann war stets freundlich und hilfsbereit gewesen. Er hätte verdient, schnell zu sterben. Aber die verzerrten Augen deuteten schon noch darauf, dass er ziemlich schmerzvoll auf die andere Seite gerissen wurde.

Ein weiteres Auto hielt vor der Kirche und wenig später sah man Damien herankommen. Der musterte ohne große Worte zunächst den Boden und den Kopf.
“Es gibt auch nur diese Bluttropfen hier...“ Marc deutete auf die Tropfen, die sich direkt unter dem Kopf befanden.
“Auf dem Kopf ist auch kein Schnee, wenn ich das von hier richtig sehe, also hängt er hier erst NACHDEM es aufgehört hat zu schneien oder die Restwärme des Schädels hat es weggetaut. Aber mir sehen die wenigen Haare auch nicht nass genug dafür aus. “
Auf Damiens Frage nickte er, auch wenn ihm die Anrede "Kumpel" noch nicht wirklich gefiel. Würden sie schon ein halbes Jahr zusammenarbeiten, war das angebracht, aber am ersten Tag ... Aber er sah aufgrund vieler Umstände darüber einfach hinweg.

“Es ist der Küster. Der Mann arbeitet in dieser Kirche schon seit ... über 30 Jahren.“ Natürlich wollte auch Damien wissen, ob man den Körper schon gefunden hatte, aber da auch in den letzten Minuten keiner der suchenden Officer einen Laut von sich gegeben hatte, konnte er guten Gewissens verneinen.
“Nein. Nichts. Kein Arm, kein Bein. Gar nichts.“
Marc schüttelte den Kopf, als Damien ihm ein Kaugummi anbot.

In diesem Moment fuhr ein blauer SUV heran und Tess stieg aus dem Wagen. Die Sonne ging auf, das fand jedenfalls Marc. Er grinste, als sie meinte, erst einmal ihre Babysitter aus dem Bett geworfen zu haben. “Waren die nicht sowieso schon wach?“ Ein klein wenig Normalität in diesem Moment tat einfach gut.
Tess stellte sich dem Gerichtsmediziner vor und warf dann einen Blick auf den Kopf.
Ihre Frage konnte er gleich mit der von Damien beantworten.

“Es gibt nur meine Fußspuren auf dem Friedhof.“ erklärte er. “Ich bin aus der Kirche raus und wollte über den Friedhof zurück.“ Damit war Tess' Frage zwar noch nicht beantwortet, aber das war hier zwar Ort, aber nicht die Zeit, darüber ein Wort zu verlieren.
“Das dürften also die einzigen ...“

Ein lauter Ruf unterbrach seine Worte.
“Hier ist ein Abdruck. Ein einzelner...“ Einer der Männer winkte mit erhobener Hand.

“Laßt uns mal näher rangehen...“
Fotos waren bereits gemacht, sie konnten also zumindest bis dorthin gehen, wo sich die Männer der Spurensicherung befanden.

Einer der Männer deutete auf den Schnee ...

G.F. „Cato“ Tyrell

George sah sich um; er gab Damien die Hand.
" Sehr erfreut." sagte er freundlich. Seine Augen wanderten weiter, über bekannte Gesichter in unbekannte und junge Gesichter.
George lächelte Aleksey an.
„ Aleksey Ikhtymbaev, hm?“ Er nahm die Hand des jungen Mannes.
„ Dobre djin. Kak djela?“ Sein goldzahngeprägtes Lächeln funkelte in der Morgensonne, ehe sich ihm nun auch Tess vorstellte. Er nahm ihre Hand und drückte sanft aber bestimmt zu.
„ Angenehm, sehr angenehm. Es ist immer schön neue Gesichter zu sehen, insbesondere wenn sie so wunderbar aussehen.“ Er lächelte Tess an, sein Oldschool-Süßholzgeraspel war eine seiner menschlichen Schwächen.

Die Ernsthaftigkeit seines Berufes ruinierte ihm jedoch meistens diese kleinen Momente, erst recht ein Blick auf den Boden eines jener Plätze, an denen man den Gestorbenen zu etwas Ruhe und Würde in ihrem Nachleben verhelfen wollte; es war nicht sein erster Fall, in dem ein solcher Ort verschandelt wurde. Er hatte Hakenkreuze an jüdischen Friedhöfen gesehen, das Zeichen des Ku-Klux-Klanes an einer Kirche, in der ein schwarzer Prediger Gottes Wort verkündete; Halloween war eine Zeit einer kleinen Rebellion, in der die Toten, Verfluchten und Verdammten für einen kleinen Zeitraum aus den Tiefen menschlicher Ängste und Furcht hervorkamen und Luzifer selbst mit Plastikgabel und Kunststoffhörnern ein kleines bisschen Freude in eine Welt der Religion brachte, die jedem kleinen Sünder das Fegefeuer androhte.
Er legte den schweren Koffer mit seiner Ausrüstung ab, um in seiner Jackentasche zu kramen, während er einen ersten, sortierenden Blick auf den Boden warf. Er brummte etwas vor sich hin, ein weiterer seiner kleinen menschlichen Makel, als er endlich sein Brillenetui herausgezogen hatte und ein weißes Putztuch herausnahm um seine Brille zu putzen. Als er damit fertig war, öffnete er seinen Koffer und zog zuallererst ein Desinfektionsmittel, eine Atemschutzmaske und sterile Handschuhe heraus. Als die ersten Fotos von der Szenerie gemacht waren, nahm er sich den Kopf vor. Vorsichtig bearbeitete er den Kopf, ein Instrument nach dem anderen von seinem Assistenten, einem jungen Burschen namens Peter Parker, gereicht.
" Erzähle mir deine Geheimnisse, mein Freund." flüsterte er leise, ehe er bemerkte, dass man ihn ansah.
" Entschuldigen Sie bitte", sagte er entschuldigend lächelnd.
" Den Kopf eines Dieners der Kirche auf Heiligem Grund..." er schüttelte den Kopf, ehe er den Kopf wieder zurücklegte und Parker noch einige Proben nehmen ließ. Er wandte sich an seine Kollegen.
" Zu ihrer Frage, Marc, ja, ich kann etwas zu der Todesursache sagen;" er zog seine Arbeitssachen aus und nahm sich ein Notizbuch heraus.
" Der Mann ist tatsächlich durch Enthauptung gestorben, von der Kontur und einer ersten Analyse kann ich unserem Kollegen" er deutete auf Damien " nur zustimmen, der Kopf wurde abgerissen, den Haaren nach zu urteilen mit brutaler Gewalt; Marc, wenn du gestattest." Er trat auf Marc zu, fasste ihn von hinten an das Kinn und die Haare und zog ihn leicht nach hinten.
" So ähnlich wie die Indianer ihre Feinde skalpierten, nur dass sie vorher die Schädelhaut abtrennten und dann zog. Sehr ungenau, aber sehr brutal und... schmerzhaft. Kein angenehmer Tod, insbesondere, da, je ungenauer, desto länger lässt der Tod auf sich warten." Er trat von Marc weg.
" Ich würde den Todeszeitpunkt auf etwa 23 bis 24 Uhr schätzen, genaueres kann ich erst sagen, nachdem die Laborergebnisse da sind." Er nickte seinem Assistenten zu, der packte alles ein und ging zurück in Richtung des Einsatzwagens.
" Soweit so gut. Zur weiteren Analyse, ja, der Mord ist nicht hier geschehen, dazu ist zu wenig Blut hier, Blutstropfen, die uns einen Ort geben könnte, wären von dem Schnee verdeckt worden; und Fußspuren, nun..." wollte er zu Ende ausführen, ehe er unterbrochen wurde. Ein Abdruck wurde gefunden. Langsam lief Cato los, warf einen Blick auf den Boden.
" Canis lupus, ein Wolf, definitiv, ein sehr großes Exemplar. Wölfe hat man hier in der Gegend jedoch schon seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen, auch wenn Hunde und Katzen hier gerne streunen. Es besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass dieser Abdruck bewusst zurückgelassen wurde und die anderen Spuren im Nachhinein verwischt wurden." Er sah sich den Schnee an.
" Interessant."





Marc nickte zweimal. Einmal, als Aleks bestätigte, dass es nicht seine erste Leiche war und das zweite Mal, als er ihm sein Beileid aussprach. “Danke.“
Der junge Mann schlug ihrem Gerichtsmediziner vor, ihn Aleks zu nennen und auch Marc würde das für sich übernehmen.

Daß auch Tess‘ Babysitter gestern abend spät ins Bett gekommen sein könnten, war natürlich durchaus möglich. Trotzdem wussten sie, was Tess für einen Beruf hatte und dass es da schon mal zu unmöglichen Zeiten kommen konnte.

Cato stellte sich in aller Ruhe vor und begann mit ersten Untersuchungen des Kopfes, bevor er an seinem Kopf demonstrierte, wie der arme Küster ums Leben gekommen war.
“Die Haut ist ausgefranst, nicht angeschnitten, was für ein Mensch hat so viel Kraft, dass er einen ganzen Kopf abreißen kann?“ Das Genick wurde vielleicht vorher gebrochen, das war vergleichsweise einfach, wenn man wußte, wie das ging und über ausreichend Kraft verfügte. Aber die Haut abzureißen ... Marc schauderte.

Zum Todeszeitpunkt konnte er nicht allzuviel sagen, wer wusste schon, wie lange der Mörder sich Zeit gelassen hatte, den Kopf hier aufzuspießen. Auf jeden Fall hatte es da schon aufgehört zu schneien...
“Es fing um 0.30 Uhr an zu schneien.“ berichtet er. Das war ungefähr der Zeitpunkt des Tankstellenüberfalles gewesen, zu dem sie gerufen wurden. Eine gute Stunde lang waren dicke Flocken gefallen, die die Stadt unter eine weiche, weiße Decke gebettet hatten.
“Um 1.30 hat es aufgehört zu schneien.“ informierte er die anderen, die in der Nacht hoffentlich anständig hatten schlafen können und so von dem weißen Zauber nichts mitbekommen hatten.

Als die Spurensicherung nach ihnen rief, konnte er die unausgesprochene Frage, die Tess deutlich im Gesicht geschrieben stand, nicht mehr beantworten und entschloss sich, das auf später zu verschieben, wann auch immer das sein mochte.

Der Abdruck, den sie wenig später betrachteten, war größer als seine Hand und er mochte sich den Wolf oder was auch immer ihn verursacht hatte, gar nicht vorstellen. Für einen Hund war der Abdruck definitiv zu groß. Tess hingehaltene Hand wirkte im Gegensatz dazu geradezu extrem zierlich.

Ein Bär hatte, soweit er wusste, 5 Krallen. Damien verneinte auch, dass es sich um einen Bären gehandelt haben könnte und Tess‘ Frage, ob die anderen Pfoten zugeschneit sein könnten, beantwortete er zunächst mit einem Kopfschütteln. “Soviel hat es nicht geschneit, man würde sie, bei gleichmäßigem Schneefall vorausgesetzt, trotzdem sehen. Außerdem ist hier kein Baum oder Dach, dass den Abdruck vor Schnee hätte schützen können.“
Die Theorie, dass andere Spuren verwischt worden waren, quittierte er mit einem Kopfschütteln. “Auch die würde man sehen.“ entschied er. Und selbst wenn hier jemand absurderweise gestanden und einen großen Sack Schnee über anderen Spuren ausgeschüttelt hätte, würde man das sehen, denn irgendwie hätte dieser Jemand den Friedhof ja auch wieder verlassen müssen.

Dass man kein weiteres Blut, als um den abgetrennten Schädel herum sah, verwunderte auch ihn extrem und es drängte sich tief im Inneren seines Gehirns ein Gedanke auf, den er mit aller Macht versuchte, weiter in der letzten Ecke seines Bewusstseins zu verdrängen. Es würde sich schon noch eine logische Erklärung finden lassen.

Bitte!

Tess wollte wissen, was der Täter zwischen Todeszeitpunkt und dem Aufspießen getan hatte? Dann schüttelte sie den Kopf. Marc wollte sich gar nicht vorstellen, wie der Körper aussehen würde, wenn sie ihn fanden. Vielleicht wurde er zerstückelt und sie fanden fein säuberlich zerteilte Einzelteile. Kein schöner Anblick. Das aber würde die Frage beantworten, was in 1,5 Stunden mit einem Leichnam passieren könnte. Oft genug vorgekommen war es ja.

Marc schüttelte den Kopf. So groß konnte kein Wolf werden. Irgendwie stieg ihm gerade bittere Galle auf. Aber vielleicht war das ja auch nur die Nachwirkungen, die der aufgespießte Kopf des Küsters erzeugt hatte. Das jedenfalls versuchte er sich gerade, mehr oder weniger erfolgreich, einzureden.
Es wäre schön, wenn sich das hier alles nur als böser Halloweenstreich herausstellen würde und der Fußabdruck nur ein übergroßer Stempelabdruck war. Mit einem langen Stab wäre das vielleicht von einem der Punkte, an denen kein Schnee lag, möglich. Möglich war alles... auch das Unmögliche?
Ein springender Wolf, der vielleicht nur ein Hinterbein hatte?

Den Tatort zu finden, war eine gute Idee, die allerdings nicht allzu leicht umzusetzen war. Der Täter könnte mit dem Auto gefahren sein, was den Radius um einiges erhöhte.
Die Stimme des Paters gab da für einen Moment eine gute Ablenkung, zumal sie seinen Namen rief.
Marc drehte sich um. “Pater Mallory … “ begrüßte er den alten Mann mit einem bedrückten Gesicht. “Mr. Payne wurde ermordet.“ Marc drehte den Kopf kurz in die Richtung des Kopfes. “Er wurde enthauptet und nur noch der Kopf ist da. Auf dem Zaun...“

Während Marc mit dem Pater sprach, hörte er Aleks seinen Überlegungen nachgehen, auch wenn er wenig davon für wahrscheinlich hielt, fand er gut, daß der junge Mann sich so viel Gedanken machte, was passiert sein konnte.

Einen Moment lang konzentrierte er sich nur auf den Pater, bis er aus den Augenwinkeln sah, dass Aleks auf einen Grabstein stieg.

“GEH VON DIESEM GRABSTEIN RUNTER!!!!“ faucht er den jungen Mann an. So sehr er sich auch bemühte, gelang es ihm nicht, sich so zu beherrschen, wie er es hätte tun müssen.
“Und du wagst es nicht, auch noch darauf zu steigen!“ knurrte er in Damiens Richtung.